C h r i s t i n e
K r
e m e r s – L e n z
DIE RÜCKSEITE DES
SPIEGELS
Fiona Ackerman entdeckt
Foucaults Begriff der Heterotopien
Können wir uns sozusagen auf die eigenen
Schultern stellen, um den
Konstruktionsprinzipien unserer Wahrnehmung
auf die Schliche zu kommen? Können wir die
Art und Weise, wie wir die Welt
repräsentieren, erforschen und auf diese
Weise die Freiheit erhalten, sie zu
gestalten?
In ihren
Bildern geht Fiona Ackerman auf
Entdeckungsreise, um sich und anderen
Künstlern auf die Schultern zu steigen. Ihr
Forschungsinstrument ist der Spiegel, mit
Hilfe dessen sie ungewöhnliche Perspektiven
sichtbar macht. So werden Zusammenhänge
erkennbar, die jenseits der
Alltagswahrnehmung liegen.
Dabei verbindet sie auf sehr originelle Art
und Weise die Philosophie mit der Malerei.
Der strukturalistische Gedanke, dass nicht
mehr die Zeit, sondern der Raum Träger der
Erfahrung ist, gerät ihr zum Handwerkszeug
der Konstruktion, ist Programm für die
bildende Kunst.
„Hingegen
wäre die aktuelle Epoche eher die Epoche des
Raumes. Wir sind in der Epoche des
Simultanen, wir sind in der Epoche der
Juxtaposition, in der Epoche des Nahen und
des Fernen, des Nebeneinander, des
Auseinander. Wir sind, glaube ich, in einem
Moment, wo sich die Welt weniger als ein
großes sich durch die Zeit entwickelndes
Leben erfährt, sondern eher als ein Netz,
das seine Punkte verknüpft und sein Gewirr
durchkreuzt.“
(Michel
Foucault, Andere Räume, 1967)
Die Punkte im Netz sind nicht unbedingt im
Verhältnis zu ihren Abständen oder ihrer
Verwandtschaft miteinander verknüpft, so
gibt es Ordnungsprinzipien, die
möglicherweise sehr weit auseinanderliegende
Punkte miteinander verbinden genauso wie
räumlich benachbarte Punkte nicht unbedingt
aufeinander einwirken müssen. Entsprechend
ist es in der bildenden Kunst möglich,
Heterogenes gleichzeitig zu präsentieren,
auf den ersten Blick Unzusammenhängendes
nebeneinander zu stellen ( Abb. „What has
already been said is not enough“)oder
Einzelnes isoliert, aus dem alltäglichen
Funktionszusammenhang herausgelöst,
darzustellen (Abb. „This is not a pipe“).
Nun stößt Ackerman gerade zu dem Zeitpunkt
auf Foucault,
an
dem sie in ihrer Malerei eine grundlegend
neue, realistische Richtung einschlägt: aus
der Komponistin, die ihre Bilder zunächst
ohne Vorsatz aus zufällig entstandenen Farb-
und Formgebilden entwickelt, wird die
Arrangeurin, deren Palette ein Bündel
ausgesuchter Gegenstände ist, die wie in
einer Versuchsanordnung experimentell
zueinander in Beziehung gesetzt werden,
bevor sie auf der Leinwand erscheinen.
Die Freiheit, die Ackerman durch die
Festlegung auf das Gegenständliche verliert,
gewinnt sie durch die Möglichkeit des freien
Arrangierens. Dabei kommt ihr auch hier der
Zufall zu Hilfe. Ihr Experimentierlabor ist
zunächst ihr eigenes Atelier. Indem sie
bestimmte Gesten und Formen aus ihren
früheren Bildern, eine Art persönliche
Symbolsprache, reproduziert und zueinander
in Beziehung setzt, gewinnt sie einen neuen
Zugang zu ihrer eigenen Kunst. Dies ist
nicht zuletzt ein Prozess der
Selbsterkenntnis: indem sie sich selbst
zitiert, gewinnt sie ein Inventar der
Gegenstände ihres inneren seelischen Raumes
und die Freiheit, diesen zu gestalten. Doch
die Bilder stehen nicht isoliert, sie sind
platziert in ihrem Atelier, in dem sie
zwischen zufällig vorhandenden Dingen des
alltäglichen Gebrauchs, z.B. den
zurückgelassenen Pinsel, Schnipseln,
Farbflecken, Stühlen und Schuhen ihren Platz
gefunden haben. Ackerman bildet diese Szene
einerseits wie auf einer Fotographie ab,
andererseits arbeitet sie nicht-realistische
und narrative Elemente ein. So lässt sie
Gegenstände aus dem Rahmen treten und
wirksam werden, die auf einem Gemälde im
Bild dargestellt sind, – wie z.B. die Wolke,
die zu regnen beginnt (Abb.„The calm before
the storm“). Auf diese Weise treibt Ackerman
ein Spiel mit den Betrachtungsperspektiven.
Diejenige, die auf den ersten Blick die
Betrachterin erster Ordnung zu sein scheint,
die Fotografin, nimmt sich die Freiheit, ihr
eigenes auf dem Foto dargestelltes Bild zu
modifizieren. Sie wird so wieder zur
Beobachterin zweiter Ordnung, zur
Konstrukteurin der Wirklichkeit. Auch die
aus ihren ursprünglichen
Funktionszusammenhängen herausgelösten
Gegenstände im Atelier gewinnen ein
Eigenleben, verweisen auf Geschichten ihrer
Verwendung.
Innerer und äußerer Raum
werden gleichzeitig sichtbar.
Diese Neuordnung der Dinge ist bei Ackerman
allerdings nicht wahllos, sondern Programm:
ihre
Arrangements verlieren nie den Charakter des
Experiments, durchgeführt mit der Absicht,
die Dinge in einer neuen Versuchsanordnung
sprechen zu lassen. Auch hierin folgt sie
Foucault, ihr Interesse ist nicht auf
beliebige, sondern auf besondere
Platzierungen gerichtet:
„Aber
was mich interessiert, das sind unter
allen diesen Platzierungen diejenigen, die
die besondere Eigenschaft haben, sich auf
alle anderen Platzierungen zu beziehen, aber
so, dass sie die von diesen bezeichneten
oder reflektierten
Verhältnisse suspendieren,
neutralisieren
oder umkehren.“
(Michel Foucault,
Andere Räume, 1967)
Wenn diese Räume in der Realität auffindbar
sind, bezeichnet Foucault sie als
Heterotopien. Sie erfüllen in allen Kulturen
wichtige Funktionen und machen wie in einem
Spiegel die Bedeutung bestimmter kultureller
Werte und Verhaltensweisen sichtbar. So gibt
es z.B. Abweichungs-heterotopien: Dies sind
Orte, wie z.B. Erziehungsanstalten,
Gefängnisse oder psychiatrische
Anstalten,
an denen das von der gesellschaftlichen Norm
abweichende Verhalten
platziert ist. Hier tritt das in den
Vordergrund, was in den Hintergrund gedrängt
wurde, weil es nicht sein darf, weil es die
Ordnung der Dinge und ihre
Funktionszusammenhänge stört oder sogar
außer Kraft setzt. Hier lässt sich allererst
erkennen, wie die Konstruktion der
Wirklichkeit funktioniert, wie die Dinge
ihre Bedeutung erhalten. So ist auch der
Spiegel selbst eine Heterotopie,
seitenverkehrt macht er das erst sichtbar,
was er selber nicht ist, zeigt, was ist,
aber auch ganz anders sein könnte. Die
Spiegelung ist immer abhängig von Winkel und
Lichteinfall, vom Blickwinkel des
Beobachters. Wir erkennen die Wirklichkeit
nicht dort, wo sie ist, sondern dort, wo sie
entsteht.
Auch Ackermans Interesse geht weiter, sie
spielt nicht nur mit der heterotopischen
Verfremdung von Räumen, sondern sucht und
findet Räume, die selber Heterotopien sind.
Wie der Naturforscher Alexander von
Humboldt, ausgerüstet mit ihrem
Forschungsinstrument, dem Spiegel in Form
einer Kamera, geht sie auf Expedition. Was
sie in ihrer eigenen Heterotopie, der Ideen-
und Einbildungswerkstätte ihres Ateliers,
gelernt hat, wendet sie auf die Ateliers
anderer Künstler an. Sie betritt diese und
bildet dort Vorgefundenes in neuen
Arrangements ab. Die Methode, sich die Werke
anzueignen, ist also auch hier die ihrer
Neuplatzierung und Verknüpfung mit
Gegenständen, die mit ihrem Entstehen
irgendwie verbunden sind;
und auch hier werden die Bilder mit
narrativen Elementen versehen, sie werden
der neu entstandenen Szene sozusagen
einverleibt, um auf diese Weise im Kontext
des
Ateliers neu gesehen zu werden. Sehr
deutlich wird dies in den Arbeiten, die im
Atelier des Malers Gregor Hiltner entstanden
sind. In dieser idiosynkratrischen Welt -
hier finden sich z.B. afrikanische, vom
Künstler übermalte Skulpturen neben
mannigfachen Werkstattfundstücken - fangen
seine Gemälde an, Geschichten zu erzählen
und geben Rätsel auf, deren Auflösung
außerhalb ihres Rahmens liegt.
Ateliers sind
immer Wirklichkeitsschmieden, da der
Künstler in seiner Kunst Konstrukteur der
Wirklichkeit ist. Das allein macht sie aber
nicht zu Heterotopien. Dies geschieht erst
dadurch, dass ihnen der Spiegel vorgehalten
wird. Ackerman
eröffnet durch ihren Blickwinkel auf die
Ateliers Deutungsmöglichkeiten der
Wirklichkeit, die dem Künstler selber
verborgen sind, die über das einzelne
Kunstwerk hinausgehen. Sie stellt die Kunst
in einen Deutungshorizont, der sich im
Rücken des Künstlers befindet und entdeckt
so eine Methode, auf bildnerische Art
kunstgeschichtliche Betrachtungen
anzustellen.
Was sie dabei findet, ist erstaunlich, und
öffnet im wahrsten Sinne des Wortes neue
Perspektiven -
z.B., wenn sie den schrägen Sockel
einer Skulptur als monumentale weiße
geometrische Form in die
archaisch-organische Skulpturenwelt des
Bildhauers Alexander Seiler oder wenn sie an
den Wänden und auf dem Schreibtisch im
Atelier des Künstlers Luc Paradis Bilder und
Gegenstände so zueinander in Beziehung
setzt, dass sie sich wechselseitig
interpretieren (Abb.„Paradis“).
Können wir uns
auf unsere eigenen Schultern stellen?
Wir können – in der Malerei.
Man kann sehr gespannt darauf sein, auf
wessen Schultern in welche künstlerischen
Welten ihre nächsten Entdeckungsreisen
führen werden.
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