Carsten WEITZMANN
www.carstenweitzmann.de
Die Tochter des
Rotkäppchens oder was noch weiter war und
wird
Auch wenn im
Märchen der Brüder Grimm der Wolf mit den
Wackersteinen im Bauch versenkt wurde, nach
dem Rotkäppchen befreit war, scheint die
Geschichte nicht zu Ende gewesen zu sein –
jedenfalls nicht für Carsten Weitzmann. Denn
in seinem umfangreichen aktuellen
Bilderzyklus gibt es „Rotkäppchens Tochter“,
die schwarze Wolfsohren über dem Haar trägt.
Ist das ein Bekenntnis der selbstbewussten
jungen Frau zur eigenen Herkunft oder ihr
Programm?
Beides scheint zu stimmen, denn demonstrativ
lässt sie im Männerklo die Hosen runter und
stellt sich ans Pissoir („Stellungnahme“,
2008) oder sitzt als „Herrenreiterin“ (2008)
auf dem Rücken des „jungen Philosophen“, der
mit dem „etablierten Philosophen“, beide
nackt, ein Pferd bildet.
Damit sind schon drei Figuren genannt, von
insgesamt zwanzig. Carsten Weitzmann nennt
sie sein „Personal“. Es sind seine
Stellvertreterfiguren für eine Gesellschaft,
wie sie Kunst, Kulturgeschichte und Medien
generiert haben. Sie beschreiben die
herrschenden ideologischen Systeme
bild-wörtlich und schreiben sie fort. Aus
der Erfahrung mit der „bananenlosen Republik“,
so der Titel eines Bilderfrieses über seine
Kindheit in der DDR, und dem System des
Kapitalismus heute hat er sie entwickelt,
jetzt führen sie ihn über seine Leinwände.
Das ist wörtlich gemeint, denn Carsten
Weitzmanns Bilder-Bevölkerung ist nicht das
Ergebnis einer systematischen Analyse oder
eines Gesellschaftsentwurfes, sondern einer
kritisch empathischen Beobachtung von
Verhältnissen und Situationen an
exemplarischen Einzelpersonen. So besonders
diese auch sind, er nennt sie ein „Prinzip“.
„Der Junge“ z.B. ist für ihn „offenes
männliches, noch androgynes Prinzip“, „Die
Krankenschwester“ „unberechenbares,
weibliches Prinzip“ und „Der Hausmeister
Gottes“ „göttliches, reinigendes Prinzip“.
All diese Prinzipien bilden ein
kommunizierendes System von Verhalten und
Verhältnissen, das scheinbar keine Ethik,
sondern nur Realitäten kennt. Carsten
Weitzmann ist damit ein Bilder-Erzähler ohne
dogmatische Absichten oder moralischen
Zeigefinger, eher steht er verlaufen – aber
mit beiden Beinen – im dichten Wald der
Zustände und hält seinen feuchten
Zeigefinger in die Luft, um zu spüren, woher
der Wind weht.
„Ich könnte alle diese Figuren sein,
weibliche wie männliche“ sagt er, „außer der
Globalist“. Das ist ein Allerweltskopf ohne
Rumpf – weil er vom Fernsehen in
Großaufnahme erfunden wurde, der überall –
im Weg – herumliegt oder mal als Luftballon
(„Reise“, 2009) davon fliegt, an seinem Seil
eine der „Kontrollmäuse“, diesen Kindern von
Micky Maus, deren Kopf nur aus einem Auge
besteht. Er kann sie alle verstehen und ist
doch Außenstehender, was ihm eine
schmunzelnd böse Distanz gibt, sie in Szene
zu setzen. Aber er wehrt sich eben nicht
gegen diese Verhältnisse, greift nicht ein,
selbst wenn beispielsweise zwei dieser
Kontrollmäuse auf der Schaukel aus ihren
Verpackungskartons heraus sich mit dem
Baseballschläger die Augenköpfe einschlagen
wollen und drohen ihr Gleichgewicht dabei zu
verlieren („Autoritätsversuch“, 2009).
So banal, manchmal fast wie ein Bilderwitz,
die Szenen sind, so doppelbödig sind sie.
Was soll man dazu sagen, wenn „Die
Krankenschwester“ „El Toro“, den maskierten
starken Mann mit dem phallischen Kaktus
unterm Arm („El Toro hat Erfolg bei den
Frauen“, 2008), von hinten nimmt
(„Demonstration“, 2008) oder wenn „der
Freund der Schwerkraft“ die Zunge des jungen
Philosophen einfach festnagelt („Der Freund
der Schwerkraft war hier“, 2008)?
Doppelbödig irritiert ist auch dessen
etablierter Kollege, der mit der
Taschenlampe durchs Dunkel („Die Entdeckung,
2008“) geht, vor sich einen Lichtkegel, der
an seinem Ende einen Kreis bildet, in dem
drei schwarze Punkte die Blindheit markieren.
Oder ist das eine Parodie auf das schwarze
Quadrat von Kasimir Malewitsch? Denn dieses
(ins Schwarzweiß übertragene) Blindenzeichen
hält auch „Der Avantgardist“ als Leinwand
vor seinen Kopf und „… gibt sich
minimalistisch“ (2008).
Den Bezug auf (berühmte) Bilder der
Kunstgeschichte findet man öfter. „El Toro“
z.B. „…will anders sein“ (2008) und posiert
in den Kleidern von Tizians „Dame in Weiß“,
und der Avantgardist grüßt, wie Courbet in
seinem Selbstbildnis, die Kunstfreunde, in
der Hand nicht den Hut, sondern besagtes
Drei-Punkte-Bild („Guten Tag, Herr
Avantgardist“, 2009). Und wenn auch Joseph
Beuys seinen Filzmantel und Spazierstock
nach getaner Arbeit an den Nagel hängt („Feierabend“,
2008), ist das kein Nachbild, sondern dann
ist die Kunst tatsächlich im Alltag und beim
Volk angekommen. Dann sind all diese
Situationen und ihre Personen
gleichberechtigte Ikonen eines
kollektivierten Gedächtnisses – als
Fortsetzungsserie. Und der Wolf – das hat
das Märchen nicht erzählt, ist zwar in den
Brunnen gefallen aber durchgetaucht bis auf
die andere Seite der Erde – während das
Rotkäppchen ihre Schwangerschaft ausgetragen
hat.
Bernhard Balkenhol (2009)
BIOGRAFIE
am 6. Mai 1961 in Erfurt
geboren
Ausbildung
zum Restaurationssteinmetz,
danach verschiedene Tätigkeiten
1983-89
angestellter Gebrauchsgraphiker
seit 1989
freiberuflich als Maler und Graphiker tätig
1993 Umzug nach Berlin
1998
Stipendium des Kulturfonds Berlin
2003
Rückkehr nach Erfurt
lebt und arbeitet in Erfurt
2007 Stipendium der Sparkassenstiftung Hessen/Thüringen seit
2007
Lehrauftrag für Zeichnen an der Universität
Erfurt
EINZELAUSSTELLUNGEN
(Auswahl)
1993
Kunsthaus Tacheles, Berlin
1994
Galerie Johannesstrasse, Erfurt
Haus Dacheröden, Erfurt
Kunsthaus Tacheles, Berlin
1995
Galerie im Stadthaus, Jena
1996
Galerie EKTachrome, Erfurt
1997
Galerie Rothamel, Erfurt
Studiogalerie im
Panoramamuseum, Bad
Frankenhausen
Fachhochschule Schmalkalden
1998
Galerie Rothamel (mit Timm
Kregel)
2000
Galerie Jarmuschek & Partner,
Berlin
Kunstverein, Jena
Galerie Rothamel, Erfurt
2001
Galerie Jarmuschek & Partner,
Berlin
Lookal 4, Amersford/NL
2002
Waschhaus, Potsdam
2003
Galerie Rothamel, Erfurt
Fachhochschule Schmalkalden
2004
Galerie Steinrötter, Münster
The Phatory LLC., New York
(mit Steffen Mühle)
2005
Galerie an der neuen
Pinakotek,
München
„Der Untergang des
Abendlandes“,
Intergalerie Potsdam
„Script 43“, Galerie Jarmuschek
& Partner, Berlin
"Three ways out" Galerie
Steinrötter
(mit Kristian von Hornsleth/
Jaroslav
Kourbanov)
Galerie Ruetz, Augsburg
„Helden“, Galerie Rothamel,
Erfurt (mit Gerd Mackensen)
2006
Preussischer Landtag Berlin
2007
Galerie Steinrötter,
"Der Aufstand der Dinge"
Kunsthalle Willingshausen,
12.10 - 4.11.2007
"Die bananenlose Republik oder am Anfang war das Kindsein"
2008 Galerie
Infern, Erfurt Kunsthaus
Erfurt (mit Jakob Roepke)
2009 Kasseler Kunstverein (mit
Thomas Nicolai) 2010
Galerie Jarmuschek & Partner, Berlin
AUSSTELLUNGSBETEILIGUNG
(Auswahl)
1992
Wertwechsel, Galerie am
Fischmarkt, Erfurt
10 Maler, 10 Tage, 10 Bilder,
Kunsthaus Tacheles, Berlin
1994
KOKORO, Kunsthaus
Tacheles, Berlin
1996
Accrochage, Bilderhaus
Krämerbrücke, Erfurt
1997
Kunstmarkt Dresden, Galerie
Rothamel
SommerNachtsRaum, Galerie
Rothamel, Erfurt
Engel, ACC-Galerie Weimar
13 x 40, Galerie Hubertus
Wunschik, Düsseldorf
1999
Kunstmarkt Dresden, Galerie
Rothamel
malsomalso, Galerie
Rothamel
art forum berlin, Galerie
Rothamel
2000
Art Frankfurt, Galerie Rothamel
art forum berlin, Galerie
Rothamel
2000
Quintessenz, Galerie
Jarmuschek & Partner, Berlin
Mehr Kopf als Körper, Schloss
Wendhausen / Braunschweig
2001
Art Frankfurt, Galerie Rothamel
Stadtmuseum Bergkamen
(mit Martin
Noll, Berit Myrebøe)
Glanz und Punkte, Galerie
Rothamel
(mit Katrin Gaßmann, Berit
Myrebøe)
art forum berlin, Galerie
Rothamel
Quintessenz II, Galerie
Jarmuschek & Partner, Berlin
Art Saxonia, Leipzig
2002
Neuer Realismus, Galerie
Rothamel
Reprorealismus, Galerie
Naumann, Stuttgart
Art Frankfurt, Galerie Rothamel
Kunst am Bau, Galerie
Rothamel
Quintessenz III, Galerie
Jarmuschek & Partner, Berlin
2003
SommerNachtsRaum, Galerie
Rothamel, Erfurt
Art Frankfurt, Galerie Rothamel
Art cologne, Galerie Rothamel
Quintessenz IV, Galerie
Jarmuschek & Partner, Berlin
2004
Art Frankfurt, Galerie Rothamel
Quintessenz V, Galerie
Jarmuschek & Partner, Berlin
2005
Der Ost-Westliche Ikarus,
Winckelmann-Gesellschaft,
Stendal.
Kunstmuseum Schloss
Friedenstein, Gotha,
Cubus Kunsthalle, Duisburg
Kunstverein Wasserburg am
Inn
Preview Berlin, Galerie
Jarmuschek & Partner, Berlin
Quintessenz VI, Galerie
Jarmuschek & Partner, Berlin 2006 "Sommersalon
2006 ", Galerie Steinrötter, Münster "Quintessenz VII", Galerie
Jarmuschek & Partner,Berlin
"40 Jahre Galerie Steinrötter", Münster
2007 "Sommersalon
2007", Galerie Steinrötter, Münster "Grafik", Galerie an der neuen
Pinakotek, München
2008 "Mit der
Nase in die Zukunft", Galerie FB69, Münster "Finissage", Kunsthaus
Erfurt
2009
"Save the Sharks", Galerie FB69, Münster
"Die ideale Ausstellung",
ACC Galerie Weimar "Tempory art zone", Kunstraum Potsdam "Sittenbilder",
Altes Innenministerium Erfurt
SAMMLUNGEN
(Auswahl)
Lindenau-Museum,
Altenburg
Angermuseum, Erfurt
Europäisches Kulturzentrum, Erfurt
Thüringer Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Erfurt
Bundesarbeitsgericht, Erfurt
Sammlung Deutsche Telekom, Frankfurt am Main
Kunstsammlungen Gera, Gera
Sammlung Lenze Forum, Hameln
Sammlung Jenoptik, Jena
Mühlhäuser Museen, Mühlhausen Museum Wiesbaden
Hier können sie die Bilder von der Eröffnung
und von der Ausstellung "Malerei" in der Galerie Steinrötter sehen.
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